Wie kommt es, räsonniert Maag an diesem fürs Räsonnieren viel zu schönen
Sonntagmorgen, dass sie, Maag&Minetti, sich so selten begegnen, obwohl sie sich schon
geraume Zeit kennen und obwohl die Voraussetzungen für ein solches Treffen denkbar
günstig wären: a) wohnen sie, was allein schon eine grosse Erleichterung sein sollte, beide
am selben Ort und b) möchten sie sich im Grunde treffen (davon geht Maag aus, macht
sich aber ein mentales Memo, diesem im Grunde bei Gelegenheit nachzugehen).
Ein Beispiel, wie sie sich erst kürzlich wieder verpasst haben: Maag sitzt, auf seine eigene
Initiative, den Kaffee mit einem Glas Wasser bereits vor sich, im Stadtcafé an seinem
Stammplatz (im Rücken die Zeitungen, im Blickfeld den Tresen, dahinter Rita, mit Geschirr
hantierend), und doch ist es Minetti gelungen, ihn zu verpassen. Maag hatte bereits ein
zwiespältiges Gefühl, als er Rita bat, Minetti seinen Wunsch zu übermitteln. Hat sie
versagt? Aus Flüchtigkeit oder willentlich? Und wenn nicht: Welchen zwingenden Grund
könnte Minetti gehabt haben fernzubleiben? Maag kommt immer zum selben Schluss:
keinen.
Während er in seinem Kaffee rührt, kommt ihm der Gedanke, Minetti eben jetzt zu Hause zu
besuchen (falls er nicht herumflaniert, im Büro scheint er ja nicht gerade unentbehrlich zu
sein). Er gibt Rita ein Zeichen und schon steht sie am Tisch.
„Hast du—“
„Aber ja“, sagt sie lächelnd, „er schien erfreut zu sein, und es war doch auch in deinem
Sinn, dass ich—“
„Um Himmels Willen—“
„Mach dir keine Sorgen, ihr seid doch...“
„Alte Freunde?“
„Das habe ich nicht gesagt.“
Maag schüttelt den Kopf. „Sag ihm nicht, dass ich gefragt habe.“ Er hat es plötzlich eilig,
weil ihm klar geworden ist, dass dies der falsche Moment für ein ernsthaftes Gespräch
gewesen wäre, „Bitte übermittle ihm meine besten Wünsche, sollte er sich...“
„Nach dir erkundigen?“
Auf dem Weg nach Hause versucht er sich vorzustellen, er würde Minetti zu Hause
besuchen, dessen Wohnung betreten, dieser sässe am Tisch, gegenüber Valentina, falls
sie noch zusammen leben, beide lesend. Doch statt Minetti sieht er immer sich oder
jemanden, der ihm, Maag, geradezu beklemmend ähnlich sieht. Nicht, dass ihm Valentina
nicht gefallen würde, doch der Gedanke, einen Doppelgänger zu haben, versetzt ihn in
Unruhe. Nein, ein Besuch kommt auf keinen Fall in Frage, er hat nicht die geringste Lust,
einem Doppelgänger zu begegnen oder am Ende der Doppelgänger von jemand anderem
zu sein, von Minetti oder sogar von jemandem, von dessen Existenz er nicht einmal weiss.
Fröhlich erwidert Maag den Gruss einer Person, die er kennen müsste, deren Name ihm
jedoch nicht einfällt, fröhlich einfach deshalb, weil er erkannt worden ist, auch wenn er sich
zur Zeit nicht einmal sicher ist, ob der Umweg, auf den er sich unbewusst eingelassen hat,
nicht doch noch auf die eine oder andere Weise zu Minetti führen wird.
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